Mittwoch, 11. November 2015

In Chabarowsk gibt es vier Universitäten - В Хабаровске четыре университета

"In Chabarowsk gibt es vier Universitäten". Dieser Satz ist so einfach, wie banal, wie faktisch korrekt und dient eigentlich nur einem Zweck, nämlich dazu, die korrekte Verwendung der Präpositionen "в" und "на" zu lernen. Beide heißen grob soviel wie "in" und "auf/am" und sind Signal dafür, wie das Substantiv zu deklinieren ist, nämlich in den Präpositiv, den sechsten der sechs russischen Kasus.

Dieser Satz ist allerdings, in all seiner Einfachheit, Banalität und Korrektheit, ein Anzeichen dafür, dass ich langsam beginne, einfachste Zusammenhänge in der russischen Sprache zu verstehen und vielleicht irgendwann, in zehn oder zwanzig Jahren, auch anwenden zu können. Dieses Vorhaben allerdings, Russisch zu lernen, stößt nicht überall auf Verständnis. Freuten sich die Russen und sonstige Menschen, die Interesse an Sprachen haben generell für mich, so ist doch die überwiegende Reaktion auf meinen VHS-Kurs Unverständnis. Warum ich denn überhaupt eine neue Sprache lernen würde, wurde da gefragt, vor allem aber, wieso denn Russisch? Das ist allerdings beides recht schnell erklärt, ich wollte eine neue Sprache lernen, da ich auch außerhalb meiner Arbeit gerne gefordert werde. Das erklärt auch, warum es eben nicht Spanisch oder Italienisch sein sollten. Ich wollte etwas neues lernen.

Sieht man sich zunächst die erste Frage an, wieso man überhaupt eine Sprache lernen sollte, so sagt diese bereits viel über das Verhältnis, das hierzulande gegenüber Fremdsprachen herrscht, aus. Fremdsprachen sind schon wichtig. Also, Englisch. Und das kann ja angeblich heutzutage jeder. Der Siegeszug der englischen Sprache als Weltsprache scheint in den Köpfen der Menschen nicht nur akzeptiert, sondern quasi schon vollendet zu sein. Das ist insofern problematisch, als dass nicht nur eine knappe Milliarde Chinesen einer anderen Meinung ist, sondern auch, weil sehr viele Menschen weitaus schlechter Englisch aktiv benutzen können, als sie denken. Man findet heute so gut wie keinen Lebenslauf eines Universitätsabsolventen mehr, in dem nicht vermerkt ist, dass er oder sie fließend englisch spricht. Oder am besten gleich "auf Mutterspracheniveau". Das letztere kann sofort als falsch erkannt und abgelehnt werden - auf Mutterspracheniveau spricht man tatsächlich nur die eigene Muttersprache(n). Und wenn man sich umsieht, welchen Umwälzungen sich eigentlich jede Sprache momentan ausgesetzt sieht, wenn man sieht, wie mit Sprache im Allgemeinen umgegangen wird, sollte man sich vielleicht auch im eigenen Interesse davor hüten, muttersprachlichen Umgang als etwas besonders gutes darzustellen. Um sich von "fließend" aus nach oben abzusetzen, gibt es seit einiger Zeit bereits den Begriff "verhandlungssicher", der Ausdruck über die korrekte idiomatische Verwendung in unbekannten und nicht-einstudierten Situationen, auch in komplexen und spezialisierten Themenfeldern, gibt.

Denn es ist tatsächlich eine weite Kluft zwischen "Game of Thrones im Original ohne Untertitel gucken" und "Englisch aktiv auf einem Niveau mit Muttersprachlern anwenden". Diese Fehleinschätzung hat wenig mit Hybris oder Arroganz zu tun, sondern vor allem damit, dass man Englisch häufig als lingua franca verwendet, wenn man sie denn überhaupt aktiv verwendet. Wenn sich zwei Menschen aus Deutschland und Italien treffen und nicht zufällig einer der beiden die Muttersprache des jeweils anderen beherrscht, dann sprechen sie -welch Wunder! - Englisch miteinander. Das klappt vermutlich auch sehr gut, es fehlt aber vermutlich schlicht das muttersprachliche Korrektiv.

Aber es scheint nicht nur der Gedanke abwegig zu sein, dass man etwas anderes als Englisch lernt, es scheint sich speziell um das Russische zu handeln. Einige Menschen geben hierfür ästhetische Gründe an. Gegen die kann man zunächst nichts sagen, wenn man eine Sprache nicht schön findet, möchte man sie wohl eher nicht lernen. Der weitaus größte Teil aber gibt mir zu bedenken, dass Russisch "schwer" sei. An erster Stelle besagte russische Freunde selber, die meinen Enthusiasmus zwar ganz interessant und lobenswert, letztendlich aber vor allem als zum Scheitern verurteilt ansehen, da ich vor der russischen Grammatik sicherlich noch in die Knie gehen werde.
Vielleicht haben sie damit nicht ganz Unrecht. Das Russische hat sechs grammatikalische Fälle, drei grammatikalische Geschlechter, eine Belebtheitskategorie, 33 Buchstaben, Vokalveränderungen in der Aussprache gemäß der Betonung eines Wortes, ist stark flektierend und wirft mit mindestens einem Laut um sich, dessen Aussprache man zuerst erlernen muss und als Mitteleuropäer vielleicht niemals lernt.

Ja, Russisch ist schwer zu lernen. Aber letztendlich ist alles, was sich zu lernen lohnt, erstmal schwer. Das, was einem leicht fällt, kann man schließlich schon. Der Spruch ist nicht von mir, sondern von Norbert Copray. Und auch, wenn ich Menschen, die als Persönlichkeitstrainer arbeiten, sonst nicht viel abgewinnen kann, hat er hiermit Recht. Etwas zu lernen heißt nicht, dass man bereits vorhandene Fähigkeiten bestätigt bekommt. Lernen bedeutet, dass man neue Fähigkeiten erwirbt. Das ist meistens schwer. Aber irgendwie eben doch auch schön.

Ich kann jedem nur empfehlen, sich in einer VHS oder sonstwo für einen Sprachkurs anzumelden. Man muss zwar so sinnlose Sätze wie "In Chabarowsk gibt es vier Universitäten" oder "Das ist Pia. Pia kauft Milch" lernen und sich kurzzeitig wieder wie in die zweite Klasse versetzt fühlen, aber man hat am Ende doch das gute Gefühl, etwas für sich selbst getan zu haben. Und wenn es nur das Wissen darum ist, wann man "в" und wann man "на" verwendet.